Mittwoch, 26. August 2015

Tag 7 - Télégraphe, Galibier und Chaussy

Das Training zahlt sich doch ma so langsam aber sicher aus. Leider wurde das vor allem dadurch deutlich, das mein Kollege Philipp mittlerweile auf dem Zahnfleisch durch die Gegend fährt. Deshalb haben wir kollegial entschieden, den Donnerstag frei zu machen und haben uns - bei bestem Wetter und mit perfektem Blick auf die Alpen - in ein Freibad begeben, sind geschwommen und haben nichts gemacht.

Nach dem Ruhetag stand dann eines der Monumente der Tour de France auf dem Plan, einer der bekanntesten Berge der Alpen und genau der, an den ich denke, wenn ich an die Alpen denke. Der Galibier. Für mich, neben Alpe d'Huez, der Berg schlechthin, wenn es um die Tour in den Alpen geht. Einfach ist er keinesfalls, was vor allem schon daran liegt, dass der Start in St. Michel-de-Maurienne damit beginnt, den Télégraphe zu erklimmen. Wer diesen unterschätzt, hat schon verloren. Immerhin stehen hierbei 12,1 Kilometer auf dem Plan mit 832 Höhenmetern auf dem Plan. Laut STRAVA durchschnittlich 7% Steigung.

Leider ist der Télégraphe auch der Weg nach Valloire, einem Touristenort schlechthin. Dementsprechend ist auch der Verkehr. Leider. Denn eigentlich ist der Berg recht schön zu fahren, sehr gleichmäßig, zumeist durch einen Wald, der beim Lichterwerden einen wunderschönen Blick auf die gegenüberliegenden Berge, das kleine Städtchen und den Fluss offenbart. Und natürlich hat man immer einen guten Blick auf das Fort Télégraphe.

Oben auf dem Télégraphe angekommen ist nicht allzu viel los - der Pass wird halt von vielen nur als Durchgangsstation zum Galibier angesehen. Die Meisten, die hier ankommen machen nur ein kurzes Foto und es geht weiter. So auch bei mir, freilich. Da ich aber auf meine Mitstreiter wartete, konnte ich mir den Pass ein wenig anschauen: Auffallend ist natürlich die liebevolle Gestaltung des Stroh-Radfahrers, die Blumen, der Ausblick. Es gibt definitiv schlechtere Orte, um zu warten. 

Wieder zusammen geht es weiter nach Valloire. Hier steppt der Bär im Kettenhemd, ein Auto nach dem anderen und irgendwann habe ich dann doch die Schnauze voll, schlängel mich durch die Autos und schaue, dass ich möglichst schnell in Richtung Auffahrt des Galibier komme. Kurze Rast wird an einer kleinen Kirche am Beginn des Anstieges gemacht, an dem auch ein Trinkbrunnen steht. Übrigens meiner Meinung nach eine der schönsten Sachen in Frankreich: die Brunnenkultur. Kaum ein Ort kommt ohne einen Brunnen aus, an dem man sich frisches Wasser besorgen kann und die Pullen wieder auffüllen kann. 

Die Auffahrt selbst zum Galibier ist lang. HC halt. Kaum zu vergleichen mit einem Berg, der hier im Ruhrgebiet steht. Das Hochgebirge ist einfach eine andere Welt. Der erste Teil der Anfahrt zur Passhöhe geht bis zu einer Brücke. Bis dahin fährt man auf der linken Seite des Berges am Hang entlang, die Steigung ist gleichmäßig und nicht zu steil. Nach der Brücke geht es allerdings richtig los. Aber richtig und wir befinden uns erst 10 Kilometer vor dem Ziel. Schnell schraubt man sich nach oben und oben auf den Kehren angekommen ergibt sich ein schöner Blick über das, was man bisher geleistet hat.

Was ich an dieser Stelle noch unbedingt erwähnen muss, das ist die Freundlichkeit der Franzosen. Ich habe einen Mann auf einem Lapierre-Trekkingrad den Galibier hochkraxeln sehen, an welchen ich mich drangehängt hatte. Da ich das oben gezeigte Foto machen musste, fuhr er mir davon. 500 Meter weiter holte ich ihn wieder ein, der hatte einen Platten. Mantel komplett im Eimer, aufgerissen. Ich bat ihm einen Schlauch an, aber er lehnte ab, es sei nicht sein erstes Mal und es sei nicht so schlimm. Er glaubte auch nicht, dass der Schlauch lange halten würde, immerhin war der Mantel durch. Also ging er wieder bergab, aber nicht, ohne mir vorher zu erklären, wo die schwierigen Stücke auf den kommenden Kilometern sei, worauf ich achten müsse und mir ein "Courage" hinterher rief. Hier lebt jeder Franzose den Radsport, selbst die, die die Pässe mit dem Auto erklimmen. Selten so entspannte Autofahrer erlebt, die vorsichtig und rücksichtsvoll fahren. Wäre mal schon, wenn das in Deutschland ähnlich wäre... 

Der weitere Weg hat es auch gut in sich. Auf den letzten 8 Kilometern werden fast 700 Höhenmeter gemacht, doch es gibt viel zu sehen: erstens die atemberaubende Berglandschaft, die sich einem erschließt. Zweitens die Käserei, die einen wirklich, wirklich guten Beaufort verkauft! Drittens das Monument zu Ehren von Marco Pantani. Und drittens ein nettes, kleines Restaurant, welches am Tunnel liegt. Dieser ist für Radfahrer gesperrt und so wird man quasi dazu gezwungen, den Pass zu fahren, wenn man über diesen drüber will. Das Restaurant jedenfalls bietet regionale Produkte und entweder einen schönen Blick auf die Passhöhe oder die Berglandschaft, die hier zu sehen ist:

Die letzten Kehren hinauf zur Passhöhe haben es dann noch einmal richtig in sich. Mehrere Kehren (zum zählen war ich zu diesem Zeitpunkt schon zu geschafft) mit einer ordentlichen Steigung, durchgehend 9%, bevor es auf den letzten 200 Metern flacher wird und man weiß, dass man es geschafft hat. Oben angekommen wird dann aber wieder offenbar, dass die Passhöhen nicht nur ein Ausflugsziel für Radsportler sind, sondern auch für Autofahrer, Motorradfahrer und Pedelec-Fahrer. Ja. Wirklich. Ich habe mit eigenen Augen gesehen, wie sich zwei Pedelec-Fahrer einen Spaß daraus gemacht haben, die letzten Kehren schnell hinaufzufahren und dabei den einen oder anderen Radsportler überholt haben. Irgendwie fehlt mir dafür das Verständnis, wenn man keine körperlichen Gebrechen hat oder ein gewisses Alter erreicht ha.

Auf jeden Fall ist der Ausblick herrlich. Und das Gefühl oben angekommen zu sein sowieso! Da ich wusste, dass meine anderen beiden Kollegen später kommen würden, machte ich mich auf zum Restaurant und aß dort einen Hamburger. Währenddessen gesellte sich einer der beiden zu mir, während der Dritte eine SMS schrieb, dass der umkehre, er habe nicht die Beine. Da ich keine Fotos gemacht hatte, jagte ich meinen Kollegen noch einmal auf den Pass, bevor es an die Abfahrt ging. 

Wieder möglichst schnell durch Valloire durch und dann die Gegensteigung zum Télégraphe. Verdammt fies. Und mit knapp 5 Kilometern auch nicht ohne. Oben angekommen warteten wir dann im schatten, bis wieder alle zusammen waren und machten uns auf den Rückweg nach St.-Michel-de-Maurienne. Meine beiden Mitstreiter fuhren mit dem Auto gen Hotel, ich mit dem Fahrrad. Über einen Umweg. Irgendwie bin ich falsch abgebogen und landete an der Montvernier-Serpentinenstraße. Nach wie vor ein schönes Fleckchen Erde und wirklich herrlich zu fahren. 

Oben in Montvernier machte ich kurz halt am Brunnen, füllte die Flaschen mit kühlem Wasser auf und kühlte mich selbst auch etwas ab. An der nächsten Kreuzung fuhr ich links. Automatisch, wie ferngesteuert. Rauf zum Chaussy. Der Weg enttäuschte mich, abgesehen von dem Idioten, der mit seinem gelben Sportwagen anscheinend auf Zeit darauf fuhr, nicht. 

Sehr abgelegen, wenig los, überaus freundliche Menschen, die einen Grüßen und ab und zu eine Anfeuerung hören lassen und ein herrlicher Blick über das Mauriennetal machen den Berg wirklich zu einem Geheimtipp. Vor allem die Passage an der Felskante entlang, während über einem der Felsvorsprung ist. 

Oben angekommen, beziehungsweise kurz vor der Passhöhe, bekam ich das zu hören, was unser ältester Mitstreiter von seinen Touren von vor 30 Jahren immer noch schwärmen ließ: Stille und Kuhglocken. Oben ein kleines Restaurant, zwei Menschen, die dort saßen und aßen und mindestens 30 Kühe, die es sich gut gehen ließen, ende Einzelne mit einer riesigen Kuhglocke behangen, die bei jeder Bewegung einen schönen und angenehmen Lärm erzeugte. 

Die Abfahrt vom Chaussy ist knappe 15 Kilometer lang und führt durch mehrere kleine Dörfer. Der Asphalt ist gut, die Orte allerdings so abgelegen, dass ich mich mehrmals gefragt habe, ob ich hier richtig bin. Aber es gab nur den einen Weg. Ich musste richtig sein. Aber wer auch immer hier wohnt, ist weit ab vom Schuss und - wenn man es mag - verdammt beneidenswert! Ich würde nichts dagegen haben, dort ein kleines Feriendomizil zu haben...

Die Abfahrt ist recht kurvig, der letzte Teil, bevor man auf die Abfahrt des Madeleine kommt, allerdings in verdammt gutem Zustand und relativ gerade. Perfekt zum Stoff geben! Wieder am Hotel angekommen taten mir die Beine allerdings mächtig weg, 120 Kilometer in 7 Stunden mit 3.341 Höhenmetern ist definitiv etwas anderes als 250 Kilometer mit 4.500 Höhenmetern. Nach dem Sauerland eXtreme war ich weniger k.o. - es ist halt durchgehendes Kraftausdauertraining, was man am Berg macht und nicht mit den kleinen Kackwellen zu vergleichen, alles ab Kategorie 2 ist in der Länge einfach ein anderer Maßstab, ab Kategorie 1 zusätzlich noch in der Steigung. 

Bei mir ist zumindest der Respekt vor den Profiradfahrern weiter gestiegen, diese Distanzen samt Berge mit einer solchen Geschwindigkeit zu nehmen, das Bedarf einer Menge Training, einem austrainierten Körper und auf den Abfahrten eine Konzentration, die nur durch eine besondere, mentale Stärke erreicht werden kann. Mit anderen Worten: In den Bergen fahren ist einfach die Königsdisziplin des Radsports und, neben der körperlichen Anstrengung, mit das Schönste, was man machen kann. Landschaftlich immer eine Wucht!

Keine Kommentare :

Kommentar veröffentlichen